Benennung und Puff
Brief 9
Was ist denn heute los da oben?
Das hab ich mich seit dem Aufwachen alle paar Minuten gefragt. Geht dir das auch manchmal so? Man ist gut drauf, alles ist palletti, aber sonderbarerweise jagt ein Gedanke den nächsten. Wenn man an normalen Tagen die Nummer mit der Achtsamkeit eigentlich schon ganz gut geknackt hat, dann ist es umso verwunderlicher, wenn dann mal ein Tag dazwischen grätscht, wo es da oben einfach nur rattert.
Ratter. Ratter. Ratter.
Da kann man so viel rumatmen, wie man will. Sport scheint auch nicht zu helfen. Und Stillsitzen erst recht nicht.
Wie gut, dass ich da noch einen kleinen Tipp im Handgepäck hab, der hilft, in die gesammelte Ruhe zu kommen, in der ich weiß, dass jede Handlung durch mehr Präsenz erblüht. Falls dir der Huibuuuhzirkus im eigenen Kopf bekannt vorkommt, dann rat ich dir das Folgende.
Erreiche die Oberhand deiner Gedanken, indem du sie benennst. Eine bemerkenswert einfache Lösung. Verblüffend, wie gut sie funktioniert… hier ist, wie es geht:
Wenn du merkst, dass du deinen Geist nicht beruhigen kannst… wenn du dich selbst vielleicht sogar schon so wuschelig gemacht hast, dass du dich ständig irgendwo stößt… sprich: du bist überhaupt nicht bei der Sache… dann grätsch genau in dem Moment rein, in dem du denkst: „Man ey… was ist denn das heute?“ Und dann benenne deine Gedanken.
Wähle dafür kein Verb, denn das inspiriert einen irgendwie nur zum weiter aktiv denken. Nein. Nimm für die Benennung ein Substantiv. Das kann alles Mögliche sein. Kommt ja drauf an, was da oben los ist.
Bei mir dreht es sich natürlich thematisch oft um mein eigenes Gedöns. Das Zeug, was mich beschäftigt. Und mein Thema ist meist, dass ich „irgendwas schaffen will“. Schaffen, schaffen, schaffen…
Also grätsch ich mit dem Wort „Planung“ rein. Denn dass ich was schaffen will, ist ja meist erst in der Zukunft irgendwann. Ich denk an all die Dinge, die ich heute noch vorhab. Und das ist in dem Augenblick jetzt ja erst die „Planung“. Also denk ich kurz bewusst das Wort „Planung“ und der Gedanke verpufft. Wie ein Zuckerwattewölkchen. Die haben meist sogar Farben. Ich stell mir eine Wolke aus Zuckerwatte vor, sagen wir mal popelgrün und dann denk ich halt in mir drin: das ist jetzt „Planung“ und es macht puff. Die Wolke implodiert einfach. Vor meinen Augen. Dann hab ich ein paar Sekunden Ruhe.
Ziemlich schnell kommt dann natürlich ein nächster völlig unvorteilhafter Gedanke, der mich wieder ganz wuschig macht. Wenn ich merk, dass ich tütelig bin, dann guck ich mir den dazugehörigen Gedanken an, benenne ihn – vielleicht ist es wieder „Planung“ – und lass die Wolke wieder zerplatzen. Und dann die nächste. Und die nächste. Und dann wieder eine. Wenn ich das eine Weile aktiv gemacht hab, ist der Himmel klar. Alle Zuckerwolken meiner Gedanken sind verpufft.
Es ist wie Magie.
Versuch das doch einfach mal. Wenn du merkst, dass es in dir unruhig ist, dir der gewünschte Fokus fehlt oder du irgendwie neben dir stehst, schau dir an, was du denkst. Benenne, was du denkst und lass die Wolke zerplatzen. Oder weiterziehen. Oder sich auflösen. Was auch immer da für dich am besten passt. Bei mir ist es halt der lustige Puffmoment. Das funktioniert für mich ganz gut, weil es so blitzschnell geht.
Puff.
Es handelt sich natürlich nicht immer um die Planung von irgendwas. Vielleicht denkt man manchmal auch an ein Gespräch, das man mit jemandem hatte. Dann ist die passende Benennung einfach „Erinnerung“. Oder es handelt sich eher um ein Gefühl. Dann ergibt sich vielleicht „Mulmigkeit“. Oder „Grübelei“. Oder „Besorgnis“. Oder was auch immer.
Das alles geht wirklich schnell. Es dauert ja nur eine Millisekunde, in der wir merken, DASS wir denken und dann WAS wir denken und dann WIE es heißt, was wir da denken. Durch diese Technik schafft man es einfach, die Gedanken zu verkürzen. Also die gedachte Gedankenzeit. Sozusagen.
Natürlich mach ich das nicht, wenn ich mal richtig denken muss. Wenn wirklich was zu planen ist, wenn was analysiert werden muss, wenn ich was fühl, was ich begreifen will. Dann setz ich mich hin und denk bewusst. Da schreib ich auch gern auf, was da oben so vor sich geht, denn dann kann ich mein Denken viel leichter verstehen. Das hab ich dir ja in unserem Briefwechsel hier schon öfter empfohlen. Aber nein, bei diesem kleinen Trick geht es eher um dieses Gedankenkarussell, das einen nervt. Das einem eigentlich gar nix bringt. Das einem die Achtsamkeit für den Augenblick stibitzt.
Bemerkenswert finde ich auch, dass, wenn man das ein wenig geübt hat und ein paar Minuten immer die Gedanken benannt hat, dass es dann irgendwann reicht, wenn man einfach nur „Gedanke“ und „Gefühl“ als Worte benutzt. Das kann ich dir empfehlen, wenn du ein wenig routinierter mit dieser Methode geworden bist. Denn im Prinzip sind das ja die zwei Dinge, auf die sich all das Gedöns zusammenfassen lassen.
Tja… jedenfalls hab ich das heute morgen nach dem Sport gemacht. Nachdem ich in der Meditation, beim Käffchen danach, beim spanisch Vokabeln lernen und bei dem ganzen anderen Trödel, den man morgens als Musiker so macht, mich irgendwann so über das Traraaaaa da oben während all dieser Handlungen selbst komplett angenervt hab, musste ich nach dem Sport an diesen effektiven Trick denken. Da musste ich natürlich erst mal die Wolke „Erinnerung“ zerpuffen lassen (die war rosa) und dann die „Planung“ (die war hellblau), weil ich dir das dann sofort gleich schreiben wollte… Ein paar viele gefühlt tausendmillionen Puffse später hab ich dann endlich wieder von mir selbst meine Ruhe ergattert und kann nun den Rest des Tages einfach sein.
Und dieses „einfach sein“ ohne zu viele Gedanken, seien sie auch noch so löblich, toll oder eloquent, ist immer etwas, was ich dir als oberstes erstrebenswertes Ziel vorstellen will. Man braucht den ganzen Trödel nicht. Nix. Die meisten Gedanken da oben sind totaler Quatsch. Dann kann man sie auch lassen.
Und die Benennung ist eine prima Strategie, um da hinzukommen.
Ich wünsch dir ganz ganz ganz viel Erfolg beim Ausprobieren. Sei nicht zu streng mit dir selbst. Dass du merkst, dass du denkst, ist die halbe Miete!!! Bleib dran. Lass viel von dem sein, was du denkst. Spar dir die Energie und mach lieber das, was du grad machst mit so viel Achtsamkeit in dem Moment, dass du einfach nur Freude an der Handlung in dem Augenblick selbst verspürst.
Bis zum nächsten Mal.
Ich drück dich,
Deine Jeanine
Es dreht sich unentwegt da oben?
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Und stell dir vor, wie sie zerplatzen.
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