Lass die Geschichte sein
Brief 8
Sind wir nicht alle die tollsten Erzähler?
Mir fällt spontan die folgende Geschichte ein:
Mein Finger tut weh. Die Mietzekatze hat mich gebissen. Wie gemein. So eine Kuschelkatze… normalerweise jedenfalls. Aber vor zwei Tagen hat der Flauschkater seine überraschend spitzen Mörderzähne volle Kanne in meinen rechten Zeigefinger gebrettert. Aber so was von!
Der Finger ist geschwollen. Die gefühlt drei Meter großen Wunden sind geschlossen, aber ich krieg fast die Krise, wenn da nur irgendwas ganz leicht dranstößt. Vorne am Finger ist alles paletti. Wenn da Druck draufkommt, merk ich es nicht – deshalb kann ich dir hier auch ganz gemütlich diese Zeilen tippen. Aber zum Beispiel jetzt Harfe spielen? Oder Gitarre? Oder Ukulele? Nein danke. Vergiss es. Da muss ich noch ein wenig warten.
Tja… aber bald geht nun mal die Tour los… wenn du das hier liest, dann sind wir schon unterwegs und diesmal hat der Trommler so viele Auftritte für die Saison klargemacht, dass ich das Gefühl hab, ich müsste mich extra gut vorbereiten. Üben, üben, üben. Und zwar jeden Tag. Obwohl die Liedchen natürlich alle sitzen. Das flutscht ja eigentlich bei den Proben schon.
Aber dennoch… kann ich mir ein paar Tage ohne Üben jetzt leisten? Was, wenn ich inzwischen alles vergessen hab? Was, wenn der Finger niemals heilt? Was wenn der Trommler mein Zupfen dann ganz fürchterlich findet? Der übt ja schließlich derweil weiter… Was wenn ich dann die Konzerte nicht hinkrieg? Was wenn? Was wenn? Was, wenn die ganze Welt zusammenbricht?
So in etwa erzählen wir Geschichten. Völlig zusammengewürfeltes Zeug, was sich immer weiterspinnt. Die Nuancen unterscheiden sich von Fall zu Fall. Kommt natürlich drauf an, welche verdrehten Gedankenmuster wir immer und immer wieder pflegen. Da hat ja jeder seine eigenen Themen.
Für die Gute Laune ist das jedenfalls Mist. Fröhlichkeit ist immer an Unbeschwertheit gekoppelt. Und Unbeschwertheit kommt selten mit Gedankenspiralen daher. Wenn man also gut gelaunt durch den Tag gehen will, dann macht sich das ohne diese abstrusen Geschichten, die wir uns selbst erzählen, viel besser. Im „schlimmsten Fall“ erzählen wir diese ja auch noch anderen. Mitunter permanent. So vertiefen wir sie weiter und weiter und sobald eine Geschichte oft genug erzählt wird, hat sie diese eigentümliche Angewohnheit, zu einem Teil von uns zu werden. Die Geschichten, die wir denken und erzählen werden Teil unserer Persönlichkeit. Das, was die anderen Menschen von uns „sehen“.
Natürlich hat jeder seine Geschichten. Da ist ja auch nix gegen zu sagen. Jeder hat eine Persönlichkeit, denn jeder hat so einiges erlebt im Leben. Davon berichten wir alle. Permanent.
Hör dich mal um. Oder noch besser: hör dir selber ab und an mal zu. Welche Geschichten erzählst du? Gerne. Oft. Immer.
Und dann mach dir klar, dass du die Geschichten wählst.
Das machst du entweder unbewusst oder bewusst.
Selbstverständlich empfehle ich dir auch hier dein Bewusstsein weiter zu entwickeln. Darum geht es mir mit dir hier ja. Wenn du fröhlich sein willst, macht sich das schwer, wenn du immer wieder schlimme Geschichten erzählst. Klar kann man mal erwähnen, dass man sich in China verlaufen hat oder fast im pazifischen Ozean ertrunken ist. Das ist um zwei Uhr morgens am Lagerfeuer ja nun mal auch ganz neckisch. Aber Obacht! Lass die Geschichten nicht zu deiner Persönlichkeit werden. Dann wirst du schnell zu einer Person, „der immer viel schlimmes passiert!“
Eine Geschichte beginnt ja nun mal immer direkt nach dem Erleben von etwas. Das ganze Zeug, was man drum rum spinnt, hat meistens mit dem meist nur sehr kurz Erlebten gar nix mehr zu tun. Der ganze Trödel findet nur im Kopf statt. Und macht das Erlebte nur „schlimmer“. Man versinkt quasi in der Geschichte.
Um auf mein Bespiel mit der Mietzekatze zurückzukommen, kann ich mich innerlich auf folgende Aussage konzentrieren:
Mein Finger tut weh.
Zack.
Mehr brauch ich nicht.
Alles andere ist nur Gedöns und bringt mir nix. Da reib ich mich nur innerlich bei auf. Das macht den Finger nicht besser. Also lass ich es sein.
Für diesen Schritt braucht man allerdings ein wenig Bewusstsein. Und das kann man üben. Wenn du das mal ausprobieren möchtest, würd ich mich natürlich total freuen. Für dich!
Wenn du dich also in einem Moment erwischst, bei dem sich da oben im Kopf anfängt, ein Drama zusammenzuspinnen, dann atme einmal kräftig ein und denk den Satz: „Lass die Geschichte sein!“
Egal, was es ist. Ein Arbeitskollege, von dem man meint, dass er einen komisch angeguckt hat. Ein anderer Autofahrer, der einem den Parkplatz vor der Nase stibitzt hat. Ein Kater, der einen in den Finger beißt.
Lass die Geschichte sein, die sich danach in deinem Kopf scheinbar wie von selbst in einen nicht enden wollenden Monolog schraubt. Das gilt beim Abwaschen genauso wie unter der Dusche. Lass einfach die Assoziationen sein, die dein Gehirn aneinanderkettet. Sei im Moment. Sei beim Abwaschen. Sei unter der Dusche. Such den nächsten Parkplatz. Lächle den Kollegen an. Hab den Kater dennoch lieb.
Mit dieser Methode – mit diesem einen Satz, den du dir SOFORT sagst, wenn du merkst, dass es losrattert, ist es tausendmillionen Mal leichter, in genau diesem Augenblick einfach nur zu sein.
Klar, mein Finger tut weh. Aber anstatt an zukünftige vielleicht schreckliche Patzer bei Konzerten zu denken, kann ich, ohne eine Geschichte im Kopf, auch die Sonnenstrahlen fühlen, die gerade meinen linken Fuß aufwärmen. Oder den Geschmack vom Frühstück, der noch in meinem Mund ist. Oder das Geräusch vom Wind draußen vor dem Fenster.
Man hat immer eine Option für „weniger“ Geschichten drum rum. Nutze sie!
Ich wünsch dir jedenfalls einen herrlich unbeschwerten Tag. Ohne viel Plapperplapper da oben… Genieße die innere Stille, die sich nach dem Satz „Lass die Geschichte sein!“ einstellt.
Bis zum nächsten Mal.
Ich drück dich,
Deine Jeanine
Wie man den Gedankenspiralen entkommt?
Hier klicken!
Man lässt die Geschichte sein!
_______________
Hör dir selber zu!
Was denkst du?
Was erzählst du?
Du hast Lust darauf, mir auf diesen Brief zu antworten?
Prima!!
Hier kannst du mir deine Gedanken gerne senden…
Ich antworte, so schnell ich kann 🙂